Praxishinweis zur Problematik der Anwendung und Auslegung des Beschlusses des BGH vom 30.07.2003 zur Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen bei laufender Insolvenzantragsfrist (StGB § 266a I; GmbHG § 64) in der Praxis

PRAXISHINWEIS

 

Rechtsanwalt Stefan Rieger, Frankfurt am Main

Zur Problematik der Anwendung und Auslegung des Beschlusses des BGH vom 30.07.2003 (1) zur Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen bei laufender Insolvenzantragsfrist (StGB § 266a I; GmbHG § 64) in der Praxis.

 

I. Einleitung

 

Mit besagtem Beschluss hat der BGH entschieden, dass sich der bzw. die Verantwortlichen während des Laufs der Insolvenzantragsfrist nach § 64 I GmbHG nicht gemäß § 266a StGB strafbar machen, wenn sie insofern die Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen an die Sozialversicherung unterlassen.Während des Laufs der maximalen Drei-Wochenfrist des § 64 I GmbHG ist, wie sich aus dem besonderen Zweck der Schutzvorschrift des § 64 II GmbHG ergibt, die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern (2). Dementsprechend hat der Gesetzgeber, um den Schutz der Massesicherung und -erhaltung zu stärken, in § 64 II GmbHG auch eine persönliche Haftung des bzw. der Geschäftsführer für den Fall manifestiert, dass nach Eintritt der Insolvenzreife Zahlungen der Gesellschaft geleistet werden.Die Ersatzpflicht des Verantwortlichen hat mithin Auswirkungen auf die Auslegung des § 266a I StGB (3). Mithin ist der Gedanke der Massesicherung im Rahmen der den Geschäftsführern eingeräumten zeitlichen Zwischenphase für Sanierungsbemühungen im Hinblick auf Sozialversicherungsbeiträge zu beachten. Denn eine Zahlung in dieser Phase würde unberechtigterweise (4) die Masse schmälern. Dies wäre jedoch mit dem Schutzzweck des § 64 II GmbHG, der ja gerade die Sicherung und Erhaltung der Masse gewährleisten soll (5), nicht vereinbar.Dazu stünde aber die strafbewehrte Pflicht zur Zahlung von Arbeitnehmerbeiträgen in Widerspruch.Um dieser Pflichtenkollision gerecht zu werden und diese auch im Lichte des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Rechtsordnung lösen zu können, wurde folgerichtig entschieden, dass eine Strafbarkeit während des Laufs der Drei-Wochenfrist nicht gegeben sein kann.Nunmehr könnte der geschulte Leser geneigt sein zu denken, es handele sich um eine Entscheidung, welche insbesondere im Rahmen einer Strafverteidigung problemlos und erfolgreich verwendet werden könne. Wie jedoch noch zu zeigen sein wird, wirft die Entscheidung unterm Strich mehr Fragen und Probleme auf als erwartet.Im Folgenden möchte der Verfasser dieses Praxishinweises, aufgrund seiner in diesem Zusammenhang gemachten Erfahrungen in der Beratung und strafrechtlichen Praxis, den Leser an die Problemstellungen heranführen und für eventuelle Lösungen sensibilisieren.

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(1) BGH, Beschl. v. 30.07.2003 – 5 StR 221/03 (LG Potsdam) = NZI, 2004, 48
(2) BGHZ 143,184 (188f.) = NZI 2000,120; BGHZ 146, 264 (274f.) = NZI 2001, 196
(3) BGH in NZI 1/2004, S. 49
(4) Ein Befriedigungsvorrang besteht nämlich seit Einführung der Insolvenzordnung nicht mehr (vgl. § 38 InsO)
(5) BGH in BB 1987, S. 994



II. Strafrechtliche Praxiserfahrungen und Probleme
 

a) Die GmbH

 

Im Rahmen der Verteidigung von GmbH-Geschäftsführern, welche wegen des Unterlassens des Abführens von Arbeitnehmerbeiträgen an die Sozialversicherung angeklagt waren, kann der Verfasser dieses Praxishinweises bis dato nur positive Erfahrungen vermelden.

Nach Vorlage einer Kopie der besagten Entscheidung und entsprechender Erörterung entfiel generell eine Verurteilung für den letzten Monat vor Insolvenzantragsstellung. Mehr kann auch im Hinblick auf die Drei-Wochenfrist und die Fälligkeitszeitpunkte der Beiträge gem. § 23 SGB IV nicht erwartet werden.

Jedoch greift hier die Praxis zu kurz. Was ist in den Fällen, in denen überhaupt keine Sanierungsbemühungen unternommen wurden? Oder in den Fällen, in welchen die Geschäftsführung die Insolvenzantragsstellungsfrist einfach hat verstreichen lassen? Wie ist zu entscheiden, wenn lediglich ein Drittantrag gestellt wurde?

Abzustellen ist auf die Durchführung, respektive Bemühung um eine Sanierung. Denn wenn die GmbH überschuldet und/oder zahlungsunfähig ist, ist ein Insolvenzantrag gem. § 64 I GmbHG ohne schuldhaftes (6) Zögern -mithin unverzüglich (7)  - zu stellen. Die maximale Drei-Wochenfrist kann somit nur dann voll ausgeschöpft werden, wenn darin kein schuldhaftes Zögern liegt. Ein solches kann denknotwendigerweise immer nur dann verneint werden, wenn Bemühungen zur Beseitigung der Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit angestrengt wurden, mithin Sanierungsbemühungen unternommen worden sind. Zu klären gilt es somit, wie strafrechtlich zu entscheiden ist, wenn der Insolvenzantrag verspätet gestellt worden ist. Gemäß dem BGH (8) fällt die sich aus § 64 II GmbHG ergebende Rechtfertigung richtigerweise immer dann weg, wenn eine fristgerechte Antragsstellung unterblieben ist und darüber hinaus die Insolvenzreife weiterhin bestanden hat. Mithin hätte sodann eine Verurteilung nach § 266a StGB unzweifelhaft zu erfolgen.

An diesem Ergebnis kann auch die Stellung eines Drittantrages, zu welchem Zeitpunkt auch immer, nichts ändern. Lediglich könnte dieser den fristgerechten Antrag des Unternehmens ersetzen und somit die Stellung des Eigenantrages entbehrlich machen.

 

b) Sonstige Kapitalgesellschaften und antragspflichtige Unternehmungen

 

Die vorliegende BGH-Entscheidung ist zwar -wie so oft- eine Einzelfallentscheidung, jedoch ist sie in den wesentlichen Passagen so generalisierend gehalten, dass sie unproblematisch auch auf die sonstigen antragspflichtigen Unternehmungen projiziert werden kann, zumal die Problemstellung unterm Strich, ähnlich wie die entsprechenden Gesetzestexte (9) , dieselbe ist.

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(6) Hans-Jürgen Schulze in Bartl/Fichtelmann, Heidelberger Kommentar zum GmbH Recht, 5. Aufl. 2003, zu § 64 Rdnr. 5

(7) Hans-Jürgen Schulze in Bartl/Fichtelmann, a. a. O., zu § 64 Rdnr. 5

(8) BGH in NZI 1/2004, S. 49

(9) Vgl. z. B. § 130a HGB, §§ 92, 401 AktG



c) Unternehmungen ohne Antragspflicht

 

Fraglich ist, ob die Entscheidung auf Unternehmungen ohne Antragspflicht Anwendung finden kann. In der täglichen Praxis wird einem insofern oft entgegnet, dass sich eine Anwendung auf Unternehmungen ohne Antragspflicht verbiete; denn wo keine Antragspflicht bestehe, mithin eine Pönalisierung nicht gegeben sei, bedürfe es auch keiner Privilegierung.

Jedoch tragen solche oder ähnliche Argumente bei näherer Betrachtung nicht. Denn betrachtet man diese Argumentation vom Ergebnis her, so wird derjenige, der keiner gesetzlichen Antragsverpflichtung nebst normierter Pönalisierung unterliegt, schlechter gestellt wie derjenige, der eine entsprechende Pflichtenstellung inne hat. Konkret hieße das, dass z. B. derjenige GmbH-Geschäftsführer, der seinen Insolvenzantrag fristgerecht im Sinne von § 64 GmbHG stellt, nicht nach § 266a StGB verurteilt werden würde, wohingegen derjenige ohne Antragsverpflichtung eine Verurteilung zu erfahren hätte. Widersinniger ginge es kaum noch.

Für den Fall, dass die Praxis tatsächlich eine solche Verfahrensweise an den Tag legen sollte, wäre eine obergerichtliche Klärung unumgänglich.

 


III. Die Beratungspraxis

 

a) Unternehmungen mit Antragspflicht

 

Bei Unternehmungen mit Antragspflicht ist für den Fall, dass der Insolvenzantrag rechtzeitig, mithin innerhalb der Frist gestellt werden wird, insbesondere darauf hinzuwirken, dass eine Begleichung der Sozialversicherungsbeiträge in diesem Zeitraum nicht mehr erfolgt. Denn es besteht insofern keine Pflichtenkollision. Eine Verurteilung nach § 266a StGB kann, wie bereits ausgeführt (10) , nicht erfolgen. Mithin ist eine Inanspruchnahme aus § 823 II BGB i. V. m. § 266a StGB ebenfalls nicht möglich. Wird dennoch gezahlt, so ist eine Berufung darauf, dass man mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns gehandelt habe, nicht ohne weiteres möglich (11) .

 

b) Unternehmungen ohne Antragspflicht

 

Bei Unternehmungen ohne Antragspflicht kann es sich, so zumindest die Auffassung des Verfassers dieses Praxishinweises, nicht anders Verhalten wie bei Unternehmungen mit Antragspflicht (12) . So wird der Verfasser auch beraten und gegebenenfalls die Sache entsprechender gerichtlicher Klärung zuführen. Ob der geneigte Leser, insbesondere im Hinblick auf die neuesten Entwicklungen in der Rechtsprechung zur Haftung von Beratern (13) , ebenso Verfahren wird, obliegt seiner eigenen Entscheidungshoheit.

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(10) s. o. II. a) und b)

(11) BGHZ 146, 264 (275) = NZI 2001, 196

(12) s. o. II. c)

(13) BGH, Urt. v. 09.01.2003, IX ZR 422/99; Urt. v. 13.02.2003, IX ZR 62/02; Urt. v. 13.03.2003, IX ZR 181/99

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